Das Schwammstadtprinzip
Blau-grüne Infrastruktur als Instrument zur Klimaanpassung im urbanen Raum
Ob Starkregenereignisse oder Hitzewellen – die Folgen des Klimawandels werden in Deutschland immer deutlicher spürbar. Auch der Weltklimarat (IPCC) berichtet in seinem sechsten Sachstandsbericht ganz deutlich, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel sich bereits auf viele Wetter- und Klimaextreme in allen Regionen der Welt auswirkt. Tief- oder Hochdruckgebiete, die sich über Europa „festsetzen“ oder sehr langsam bewegen, sorgen z. B. dafür, dass die Niederschlagsmengen auf deutlich weniger Fläche niedergehen. Dies ist der bekannte Starkregen, der durch kombinierte aufeinanderfolgende Niederschlagsereignisse sogar zu Großschadensereignissen wie der Ahrflut im Jahr 2021 führen kann. Was können Städte und Gemeinden tun, um auf die Auswirkungen des Klimawandels und klimabedingte Extremwetterereignisse optimal vorbereitet zu sein? Inwiefern kann die Stadt Stockholm als Vorbild zur Schaffung von resilienten und klimaangepassten Stadtstrukturen dienen? Und welche Rolle spielen ein natürlicher bzw. naturnaher Wasserhaushalt und die sogenannte Schwammstadt dabei?
Die Schwammstadt – blau-grüne Infrastruktur als Baustein der Stadtplanung
Der Klimawandel hat nicht nur Starkregenereignisse zur Folge – auch langanhaltende Hitzeperioden machen der Bevölkerung in urbanen Siedlungsstrukturen zu schaffen. Und genau hier setzt die Schwammstadt mit ihrer blau-grüne Infrastruktur als Baustein der Stadtplanung an. Eine Schwammstadt ist eine naturbasierte Lösung, die das Wasser an der Quelle zurückhält und so Staunässe und Überschwemmungen verlangsamt. Sie lässt die Natur als belastbares System arbeiten, das Wasser aufnimmt, speichert und auch behandelt. Blau-grün beschreibt dabei verschiedenste Maßnahmen, die den Wasserhaushalt in Siedlungsräumen wieder mehr in Richtung des naturnahen Wasserhaushaltes bringen. Um diese vernetzten Strukturen zielführend umsetzen zu können, müssen neben blau-grünen Elementen auch sogenannte graue Elemente in die Planung Eingang finden. Mit grauen Elementen sind die Teile der Infrastruktur gemeint, die dafür sorgen, dass z. B. im Untergrund Niederschlagswasser versickern kann. Die graue Infrastruktur – in diesem Fall beispielsweise unterirdische Retentionsbecken oder Rigolen – sind an der Erdoberfläche nicht zu sehen. Um in den Farbbildern zu bleiben, sind die blauen Elemente sichtbares Blau in Form von Wasser und die grünen Elemente sichtbares Grün wie Stadtbäume, Versickerungsflächen oder Parks.
Stockholmer Konzept für Stadtbäume
In Schwedens Hauptstadt Stockholm wurde vor über 20 Jahren ein Konzept zur Erhaltung der Stadtbäume entwickelt, das auf der Erkenntnis beruht, dass Bäume in stark verdichteten städtischen Bereichen aufgrund begrenzter Wurzelräume nur begrenzt wachsen können. Ein Handbuch mit verschiedenen Maßnahmen wurde erstellt, um bestehende Baumstandorte zu verbessern und zu reaktivieren. Dazu zählt unter anderem die Schaffung von Skeletterde und Belüftungssystemen für den Wurzelraum, um den Bäumen ein größeres durchwurzelbares Bodenvolumen zu bieten. Zudem muss sichergestellt werden, dass die Wasserversorgung der Bäume auch über Trockenzeiten gewährleistet ist und das zugeführte Niederschlagswasser keine Staunässe am Baumstandort bildet. Es ist daher enorm wichtig, entsprechende Fachleute wie zum Beispiel aus dem Bereich der Grünflächenämter von Anfang an mit in die Planung zu involvieren.
Der Schwammeffekt – Entwicklung zum naturnahen Wasserhaushalt
Wichtigste Erkenntnis und auch erster Schritt bei der Umsetzung ist es, entsprechende Räume für Pflanzen und Begrünung zu schaffen. Um die Behandlung und Speicherung von Niederschlagswasser im ganzen Einzugsgebiet zu realisieren, müssen auch Pflanzen und Bäume gleichmäßig über die gesamte Fläche verteilt werden. Hinsichtlich der Umsetzung und Entwicklung zum naturnahen Wasserhaushalt sollte in den Erschließungsgebieten das anfallende Niederschlagswasser entweder verdunsten oder tatsächlich im Bereich des Siedlungsgebietes, vor Ort, versickert werden. Bei der Planung von Neubaugebieten ist in Stockholm z. B. ein Rückhalt von Niederschlagswasser auf den Grundstücken vorgeschrieben. In Summe ist also dafür gesorgt, dass der Abfluss zu den öffentlichen Entwässerungssystemen reduziert wird und der lokale Wasserhaushalt gestärkt wird.
Multifunktionale Flächen
Multifunktionale Flächen
In Stockholm wurden daher in den letzten Jahren großzügige Räume geschaffen, um Baumpflanzungen sicherzustellen und Begrünung herbeizuführen. Die Flächen zwischen den Gebäuden wurden nicht versiegelt, sondern als hochwertige Grünflächen mit hoher Aufenthaltsqualität gestaltet. Ziel der Stadtplanung ist es nicht ausschließlich maximal günstigen Wohnraum zu erzeugen, sondern lebenswerte Quartiere zu schaffen, die auch in einigen Jahrzehnten noch attraktiv sind und gerne zum Wohnen genutzt werden.
Stadtplanung an den Klimawandel anpassen
Was bedeutet das für den Siedlungsneubau und Bestand in Deutschland? Es ist wichtig, dass sich Politik und Verwaltung auf Stadtentwicklungskonzepte einigen, die es der Stadt ermöglichen, auch mit höheren Temperaturen umgehen zu können. Denn ohne Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung wird es uns nicht gelingen, überwiegend versiegelte Städte weiterhin für Wohnen und Aufenthalt attraktiv zu halten. Bei der Klimafolgenanpassung für urbane Räume, insbesondere Großstädte, sind Klimaschneisen wichtig, die für eine Be- und Entlüftung der Städte sorgen sowie Räume für die Versickerung von Niederschlagswasser für die Verdunstung bzw. für die Grundwasserneubildung zu schaffen. Weiterhin sollten Flächen ausgewiesen werden, in denen Grüngürtel und Grünzonen entstehen können. In bebauten Bereichen, besonders in Innenstädten, muss sichergestellt werden, dass es nicht zu exponentiellen Temperaturentwicklungen kommen kann. Diese Hitzeschutzkonzepte betreffen insbesondere die Stadtplanung und sind par excellence die Elemente der blau-grünen Infrastruktur. Für Neubauvorhaben sollten mehr und größere Grünflächen zur Verfügung gestellt werden müssen. Zudem sollten Grünflächen in Bestandsbereichen saniert werden, dies gilt insbesondere für Standorte der Stadtbäume. Diese Maßnahmen sorgen in Summe dafür, dass in den Städten der Zukunft Regenwasser behandelt, versickert und verdunstet werden kann. So kann es gelingen mit dem Konzept der Schwammstadt gleichzeitig Wohnraum zu schaffen und lebenswerte Städte zu erhalten.