Mobilitätswende: Strategien für gute und sichere Radwege
Ein Interview über die Planung einer guten Radinfrastruktur
Fahrradfahren liegt voll im Trend – sei es als Freizeitaktivität oder als umweltfreundliche Alternative im Alltag. Mit der steigenden Nachfrage wird es immer wichtiger, effektive Lösungen zu finden und sicherere Bedingungen für den Fahrradverkehr zu schaffen. Anlässlich des Weltfahrradtages am 03. Juni haben wir mit drei unserer Expert*innen für nachhaltige Mobilität gesprochen über das Thema gesprochen. Thomas Baumann, Horst Heiduk und Michelle Ries haben sich auf die Planung von Radwegen spezialisiert und geben im Interview Einblicke in die Planung einer nachhaltigen Radinfrastruktur.
Was macht einen guten Radweg aus?
Was macht einen guten Radweg aus?
Horst Heiduk: Sicherheit, Komfort und Durchgängigkeit.
Michelle Ries: Genau, diese drei Kriterien sind wesentlich. Neben baulich gut angelegten Radwegen sind auch andere Arten von Radinfrastruktur möglich und sinnvoll, z. B. Fahrradstraßen oder Radfahrstreifen. Wichtig ist, dass die Infrastrukturen in Summe ein durchgängiges Netz bilden und ich sicher von A nach B komme.
Thomas Baumann: Für uns ist neben den baulichen Voraussetzungen auch die Sichtbarkeit eines Radwegs wichtig. Er sollte als Angebot für den Radfahrenden erkennbar sein. Außerdem sollte Radverkehr als gleichwertige Mobilitätsform für andere Verkehrsteilnehmenden sichtbar sein, z. B. für Autos.
Und welche Kriterien spielen bei der Planung einer guten Radinfrastruktur eine entscheidende Rolle?
Horst Heiduk: Der Grundgedanke ist immer ein durchgängiges Radverkehrsnetz. Hierbei gibt es auch Hierarchien zu beachten, z. B. Radschnellwege, Radhauptrouten, Bezirksnetze. Alle Einzelmaßnahmen sollten sich in dieses Zielnetz einfügen.
Michelle Ries: Bei der Auswahl der geeigneten Radinfrastruktur spielen auch immer die vorhandene Kfz-Belastung auf der Strecke und die zulässige Höchstgeschwindigkeit eine Rolle. Je höher die Verkehrsmenge und je schneller gefahren wird, desto eher muss der Radverkehr vom Autoverkehr getrennt werden. Es gibt für die Planung von Radwegen Richtlinien und Empfehlungen, die diese Kriterien bundesweit definieren und auch auf Landesebene werden Empfehlungen gegeben, die wir unserer Planung zugrunde legen.
Könnt ihr kurz erläutern, wie so eine Planung aussieht? Welche Schritte und Maßnahmen gehören dazu?
Horst Heiduk: Das hängt von der Aufgabenstellung ab. Das Spektrum reicht von der konzeptionellen Planung von Routen und Netzen mit der ersten Linienfindung bis zur konkreten Planung und Umsetzung nach allen Leistungsphasen der HOAI. Das Ergebnis kann also eine Machbarkeitsstudie als Grundlage für weitere Planungsleistungen sein, oder detaillierte baureife Pläne und Leistungsverzeichnisse. Unser Leistungsspektrum deckt alles einschließlich der örtlichen Bauüberwachung ab.
Michelle Ries: In unserem Team erstellen wir unter anderem Verkehrsgutachten, nachhaltige Mobilitätskonzepte (SUMP) und Machbarkeitsstudien. Wir beginnen meist mit der Analyse von vorhandenen Daten, führen Verkehrszählungen durch oder beobachten die Situation vor Ort. Dazu gehören hin und wieder auch Befragungen und oftmals die Beteiligung der Akteure vor Ort. Auf Basis der Ergebnisse sowie in Überlagerung mit den Zielen der Gemeinde, leiten wir Maßnahmen ab und arbeiten diese aus. Diese können baulicher Art sein z. B. die Herstellung einer Querungsmöglichkeit oder der Ausbau eines Radweges oder auch organisatorischer Art wie die Initiierung eines Radaktionstages. Auch die Herstellung von sicheren Radabstellanlagen ist oft eine wichtige Maßnahme.
Thomas Baumann: Bei uns in Koblenz ist ein Arbeitsschwerpunkt die Beschilderung von Radrouten, von der Planung bis hin zur Wartung.
Das heißt, ihr arbeitet auch interdisziplinär und teamübergreifend an Projekten? Wie gestaltet sich dieser Prozess bei Sweco?
Horst Heiduk: Das kann arbeitsteilig sein, wenn jedes Team sein Arbeitspaket abarbeitet, oder es gibt teamübergreifend fachliche Unterstützung. Die Zusammenarbeit erstreckt sich auch auf weitere Bereiche, die im Zusammenhang mit einer guten Radinfrastruktur stehen, z. B. Brückenplanung. Hier kann Sweco alle erforderlichen Leistungen aus einer Hand anbieten. Die meisten Projekte bearbeiten wir aber weiterhin innerhalb eines einzelnen Teams.
Thomas Baumann: In Koblenz arbeiten wir beispielsweise mit dem Team „Landschaft & Ökologie“ in Projekten mit Radverkehrsbezug zusammen. Sind ökologische Belange bei einem Radwegebau zu beachten, können wir die Leistungen auch anbieten.
Michelle Ries: Eine Zusammenarbeit ist in aktuellen Projekten für uns auch mit den Kolleg*innen der Architektur und dem Städtebau besonders wichtig. Seit einigen Jahren haben wir übrigens einen regelmäßigen Radverkehrs-Jourfixe eingerichtet, der mehrmals im Jahr stattfindet und in dem wir digital über die Sweco-Standorte hinweg unsere Radverkehrs-Projekte besprechen und uns zu aktuellen Themen austauschen.
Wie werden die Bedürfnisse und Anforderungen verschiedener Nutzergruppen bei der Planung und Gestaltung von Radwegen berücksichtigt?
Horst Heiduk: Radweg ist nicht gleich Radweg. Die Anforderungen an die Radinfrastruktur für den Alltagsverkehr, Pendler oder den touristischen Verkehr sind durchaus unterschiedlich. Bei der Planung können wir hier auf die einschlägigen Regelwerke zurückgreifen.
Michelle Ries: Die Anforderungen variieren auch häufig je nach Akteuren vor Ort. Wir beteiligen gerne in unseren Projekten die Öffentlichkeit, Anlieger und weitere Akteure, um uns ein Stimmungsbild zu machen und die Belange in die Planung einfließen zu lassen. Besonders schön finde ich z. B. die Beteiligung von jungen Menschen. Wir dürfen regelmäßig Schulmobilitätskonzepte betreuen, die die Beteiligung von Schüler*innen beinhaltet. In solchen Terminen sind die Wünsche und Bedürfnisse teils anders als an anderer Stelle.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Planung neuer Radwege?
Horst Heiduk: Allen Nutzungsanforderungen an den knappen Straßenraum gerecht zu werden. Insbesondere im innerstädtischen Bereich lässt sich der Straßenraum ja nicht vergrößern, sondern man muss die Flächen für Radverkehrsanlagen durch eine Umverteilung im Straßenraum generieren.
Michelle Ries: Sehe ich genauso: die Nutzungskonkurrenzen sind eine Herausforderung. Wir müssen häufig abwägen, wie die vorhandenen Flächen auf Radverkehr, Grün, Fußverkehr, das Auto oder sonstige Nutzungen zu verteilen sind. Parkplätze sind ein hoch emotionales Thema. Menschen möchten gerne sicher Radfahren, aber nicht zu Lasten des Parkplatzes vor der eigenen Haustür.
Thomas Baumann: Auch verschiedene Interessensgruppen sind immer wieder zu beteiligen und zu moderieren. In Rheinland-Pfalz müssen wir insbesondere Landwirtschaft und Weinbau berücksichtigen, wenn Radverkehr z. B. auf Wirtschaftswege gelenkt werden soll.
Welche Projekte oder Initiativen habt ihr bei Sweco bereits erfolgreich umgesetzt, um den Radverkehr zu fördern? Woran arbeitet ihr momentan?
Horst Heiduk: Die Liste der erfolgreich abgeschlossenen Radverkehrsprojekte ist lang. Aktuell laufen bei uns in Düsseldorf verschiedene Projekte zum Ausbau des Hauptroutennetzes. Dabei ist die sichere Führung des Radverkehrs durch komplexe Knotenpunkte mehrstreifiger Bundesstraßen einschließlich Bus- und Straßenbahnhaltestellen besonders spannend. Aber auch Fahrradstraßen sowie eine Veloroute planen wir aktuell.
Thomas Baumann: In Koblenz arbeiten wir derzeit im Bereich des Alltagsradverkehrs an der Machbarkeitsstudie für eine Pendlerradroute zwischen Koblenz und NRW rechts und links des Rheins. Im touristischen Bereich sind viele Beschilderungsprojekte am Laufen, beispielsweise begleiten wir die Pfalz Touristik bei der Beschilderung mehrerer Radrouten der zukünftig geplanten „Radregion Pfalz“. Vor kurzem haben wir einen weiteren spannenden Auftrag erhalten: Für die Arbeitsgemeinschaft fahrrad- und fußverkehrsfreundlicher Kommunen in Rheinland-Pfalz (AGFFK-RLP) übernehmen wir den temporären Aufbau und den Betrieb der Geschäftsstelle. Wir arbeiten also nicht nur in technisch-planerischen Projekten.
Michelle Ries: Im Team Mobilitäts- und Verkehrsplanung erstellen wir aktuell einen Verkehrsentwicklungsplan für die Stadt Soltau, in der u.a. ein Zielnetz für den Radverkehr erarbeitet wird. In Siegburg prüfen wir die Machbarkeit zur Umgestaltung einer Hauptverkehrsstraße, in der der Radverkehr sicher geführt werden muss. In Rheinland-Pfalz und Hessen arbeiten wir gemeinsam mit mehreren Betrieben an der Erstellung von betrieblichen Mobilitätskonzepten und in Mainz erstellen wir im Rahmen der Baumasterplanung der Universitätsmedizin ein verkehrliches Soll-Konzept. In diversen Verkehrsgutachten beurteilen wir die verkehrliche Situation und geben Empfehlungen zur Verbesserung. Auch die Modellierung von Radverkehr in Verkehrsmodellen und die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung von Radwegeverbindungen gehören zu unseren Aufgaben in Projekten. Ich hoffe die (unvollständige) Auflistung gibt einen guten Überblick über die Vielfältigkeit unserer Projekte.
Radverkehr ist längst kein nachgeordneter Teil des Straßenentwurfs mehr, sondern wird zunehmend als eine der Säulen der Mobilitätswende erkannt
Welche Trends seht ihr in der Radverkehrsentwicklung und wie beeinflussen sie eure Arbeit als Planer*innen?
Horst Heiduk: Radverkehr ist längst kein nachgeordneter Teil des Straßenentwurfs mehr, sondern wird zunehmend als eine der Säulen der Mobilitätswende erkannt. Zum Beispiel verfolgt die Landeshauptstadt Düsseldorf das Ziel, den Radverkehrsanteil auf 25 % zu steigern. Entsprechend wird der Ausbau der Radverkehrsanlagen forciert. Inzwischen haben sich – zumindest in den Großstädten – die Lastenräder immer weiter verbreitet. Dies gilt es nun auch bei der Dimensionierung von Fahrradabstellanlagen zur berücksichtigen.
Michelle Ries: In der Mobilitätsplanung sehen wir auch den Trend der zunehmenden Pedelec-Nutzung. Immer mehr Menschen steigen aufs Rad. Das macht unsere Arbeit für die Zukunft so wichtig.
Gibt es sonst noch etwas, was ihr unseren Leser*innen mitteilen möchtet?
Thomas Baumann: Radfahren ist auch für viele Kolleg*innen eine gute Möglichkeit, zur Arbeit zu kommen. Wir finden es toll, dass sich viele Teams an Aktionen wie Stadtradeln oder Mit dem Rad zur Arbeit beteiligten. Sweco bietet auch die Chance, ein Jobrad zu leasen. Wir sollten mal sammeln, wie viele Kilometer da pro Tag zusammenkommen und wie viel CO2 wir damit vermeiden. Das ist ein echter Beitrag zum Klimaschutz in einem Unternehmen, dem die Nachhaltigkeit wichtig ist!