Wenn man über kritische Infrastruktur spricht, denkt man an Energie, Wasser, Verkehr oder IT. Doch kaum ein Sektor berührt das Leben so direkt wie die Gesundheitsversorgung. Krankenhäuser sind Grundpfeiler einer funktionierenden Gesellschaft. Es sind Orte, an denen Sicherheit, Versorgung und Menschlichkeit auch dann aufrechterhalten werden müssen, wenn alles andere stillsteht. Sie zu planen bedeutet, Verantwortung in einer Dimension zu übernehmen, die weit über Architektur oder Technik hinausgeht.
Wie plant man krisenfeste Krankenhäuser?
Die Planung von Gesundheitsbauten bedeutet, das Rückgrat der medizinischen Daseinsvorsorge zu gestalten. Jedes Detail, von der Grundrisslogik über die Materialwahl bis zur kleinsten technischen Komponente, beeinflusst, ob ein Krankenhaus im Ernstfall funktioniert. Krisenfeste Krankenhäuser sind längst nicht mehr nur Thema des Katastrophenschutzes, sondern ein Leitmotiv der gesamten Planungsphilosophie.
„Wir planen keine Gebäude, wir planen Funktionssysteme. Und diese Systeme müssen auch dann tragen, wenn alle äußeren Bedingungen versagen.“
Sabine Steinert, Bereichsleiterin Architektur und Expertin für Gesundheitsbauten bei Sweco.
Das Fundament für eine funktionale und sichere Planung von Gesundheitsbauten bilden folgende Aspekte:
Redundanz: Technische Anlagen, ob Stromversorgung, Wasser, medizinische Gase oder IT, werden nach dem Prinzip „N+1“ ausgelegt: Fällt eine Komponente aus, übernimmt eine zweite. Jede kritische Infrastruktur muss eigenständig überleben können.
Autarkie: Mindestens 72 Stunden sollte ein Krankenhaus unabhängig vom öffentlichen Netz funktionsfähig bleiben: mit Notstromaggregaten, Treibstoffreserven, Wasserspeichern und eigener Wärmeversorgung. Diese Selbstversorgung ist keine theoretische Übung, sondern Teil der gebauten Realität moderner Kliniken.
Zonierung: Funktionalität allein reicht nicht. Eine Klinik muss in klar definierte Zonen gegliedert sein, um sich im Ernstfall selbst schützen zu können. Das betrifft nicht nur Brandabschnitte, sondern auch hygienische und sicherheitstechnische Sektionen: OP-Bereiche, Intensivstationen, Isoliereinheiten oder geschützte Kommunikationszentren.
Intelligente Wegeführung: Die Architektur spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Sie trennt Verkehrsströme (Patient*innen, Personal, Besucher*innen, Material) und schafft logistische Klarheit. Eine intelligente Wegeführung ermöglicht nicht nur Effizienz im Alltag, sondern sichert auch im Krisenfall den geordneten Ablauf.
„Jede Tür, jede Schleuse, jede Treppe kann im Notfall über Leben und Tod entscheiden.“Mohamad Hussein, Teamleiter Technische Gebäudeausrüstung bei Sweco.
Integrale Planung verbindet Sicherheit, Funktionalität und architektonische Qualität
Die Vielzahl an Vorschriften wie Brandschutz, Hygiene und IT-Sicherheit führt zwangsläufig zu Zielkonflikten. Wie bringt man Funktion, Sicherheit und Gestaltung in Einklang? Die Antwort liegt in der integralen Planung.
„Sicherheit steht immer an erster Stelle“, betont Sabine Steinert. „Aber gute Architektur schafft es, technische Zwänge zu integrieren, ohne dass man sie sieht.“
So werden TGA-Komponenten oft in Decken- oder Wandsysteme integriert, um gleichzeitig Funktionalität, Hygiene und ästhetische Qualität zu gewährleisten. Gestaltung ist hier kein Widerspruch zur Sicherheit, sondern deren sichtbare Übersetzung.
Versorgungssicherheit als Haltung: Energie, Wasser und IT zuverlässig absichern
Versorgungssicherheit bedeutet weit mehr als Notstrom und Redundanz. Sie ist das Versprechen dauerhafter Betriebsfähigkeit trotz äußerer oder innerer Störungen. Neben Energie und Wasser umfasst sie auch IT-Infrastrukturen, Lagerhaltung, Logistik, Kommunikation und Personalreserven.
Die Stromversorgung bleibt dabei das empfindlichste Glied der Kette. Mehrstufige Systeme, von der allgemeinen Sicherheitsstromversorgung bis zur unterbrechungsfreien Stromversorgung (USV) für sensible Geräte, schützen vor dem Totalausfall. Genauso kritisch ist das Thema Wasser: Trinkwassergüte, Löschwasservorrat und Abwassertrennung müssen in jedem Szenario gesichert sein. Und mit zunehmender Digitalisierung sind IT-Sicherheit und Cyberresilienz längst Teil der gebäudetechnischen Verantwortung.
Die Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen nach dem BSI-Gesetz (BSI-KritisV) und der Branchenspezifische Sicherheitsstandard (B3S) setzen hier verbindliche Maßstäbe. Das Krankenhaus wird damit zum digitalen Schutzraum mit redundanten Netzwerken, geschützten Datenstrukturen und Notfallplänen für den „analogen Rückfallbetrieb“.
Trennung als Prinzip: konsequente Trennung von Versorgungssystemen
Ein zentrales Element der technischen Planung ist die konsequente Trennung von Versorgungssystemen. Trinkwasser, Abwasser, medizinische Gase und Luftsysteme dürfen sich weder physisch noch funktional beeinflussen. Separate Installationsschächte, farblich gekennzeichnete Leitungen und Systemtrenner nach DIN EN 1717 verhindern Kreuzkontaminationen.
Auch die Lufttechnik folgt dieser Logik: autarke Lüftungsanlagen mit unterschiedlichen Druckstufen schützen sensible Bereiche vor Keimübertragungen. Diese technische „Entkopplung“ schafft nicht nur Sicherheit, sondern erleichtert auch Wartung und Anpassung – ein entscheidender Faktor in dynamischen Betriebsumgebungen.
Der Ausnahmezustand als Planungsgrundlage für eine funktionierende Notfallorganisation
Das Szenario des Massenanfalls von Verletzten (MANV) gehört seit Jahrzehnten zur Krankenhausplanung. Doch die Bandbreite möglicher Krisen ist heute größer denn je, seien es Naturkatastrophen, Pandemien oder geopolitischen Spannungen. Der Begriff „Bündnisfall 2029“ verdeutlicht, dass selbst militärische Auseinandersetzungen nicht mehr als undenkbar gelten.
Ein Krankenhaus, das auch im Ausnahmezustand funktioniert, braucht flexible Flächenreserven und klar definierte Abläufe. Rettungswagenhallen oder Tiefgaragen können kurzfristig als Behandlungszonen aktiviert werden. Dafür werden Anschlüsse für Strom, Gase und Daten strategisch vorgehalten. Separate Zufahrten für Einsatzkräfte, Helipads (Hubschrauberlandeplätze), geschützte Lagerflächen und Kommunikationszentren sind integraler Bestandteil des Entwurfs.
Eine funktionierende Notfallorganisation, etwa durch eine dauerhaft geschulte Klinikeinsatzleitung (KEL) und einen zentralen operativen Notfallkoordinator (ZONK), ist das organisatorische Gegenstück zur baulichen Resilienz. Planung, Technik und Betrieb verschmelzen hier zu einem Sicherheitsnetz.
Wendepunkt für die Gesundheitsarchitektur – Lektionen aus der Pandemie
Die Corona-Pandemie war für die Gesundheitsarchitektur ein Wendepunkt. Was früher theoretisch geplant wurde, musste plötzlich praktisch funktionieren: Isolierstationen, Schleusen, flexible Raumkonzepte. Vieles wurde improvisiert, manches dauerhaft etabliert.
Seither ist die „Pandemievorsorge“ fester Bestandteil jeder Klinikplanung. Stationen müssen bei Bedarf abtrennbar, lufttechnisch entkoppelbar und im Unterdruckbetrieb betreibbar sein. Personal- und Materialschleusen werden baulich vorbereitet, Kommunikationssysteme redundant ausgelegt. Auch die Themen Lagerhaltung von Medikamenten oder Verpflegung haben eine neue Bedeutung erhalten. Die Vorratshaltung für mehrere Monate ist heute eine strategische Notwendigkeit.
Offenheit für die Zukunft: Zusammenspiel von Architektur, Technik und Organisation
Offenheit für die Zukunft: Zusammenspiel von Architektur, Technik und Organisation
Zukunftsfähige Kliniken denken Veränderung mit. Modulare Bauweisen, überdimensionierte Schächte und bewusst „offen gedachte“ technische Reserven ermöglichen spätere Anpassungen ohne Betriebsunterbrechung. Das „Shell and Core“-Prinzip erlaubt es, Flächen zunächst nur roh vorzubereiten und bei Bedarf auszubauen, etwa für neue Technologien, Behandlungsformen oder Kapazitätssteigerungen.
Photo Credit: David Matthiessen
Auch der Klimawandel verändert die Planungsparameter. Längere Hitzewellen, Starkregen oder Versorgungsengpässe verlangen robuste Kühl- und Lüftungssysteme, intelligente Fassadenkonzepte und ein aktives Regenwassermanagement. Resilienz und Klimaanpassung verschmelzen damit zunehmend zu einer gemeinsamen Aufgabe.
Gesundheitsbauten als kritische Infrastruktur: Verantwortung für Resilienz und Zukunftsfähigkeit
Gesundheitsbauten sind mehr als Bauwerke, sie sind Infrastruktur im wahrsten Sinne des Wortes. Ihre Leistungsfähigkeit entscheidet über die Funktionsfähigkeit des gesamten Gesundheitswesens. Wer sie plant, trägt daher Verantwortung für die Zukunft. Diese Verantwortung zeigt sich im stillen Zusammenspiel von Architektur, Technik und Organisation. In der Fähigkeit, Systeme zu denken, die funktionieren, wenn nichts mehr funktioniert. Und in dem Bewusstsein, dass Resilienz, Nachhaltigkeit und Menschlichkeit keine Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig bedingen.
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