15/05/2025

Lesezeit 8min

Gina Borchert

Gina Borchert

Marketing & Kommunikation

Nachhaltiges Bauen in der Praxis: Planung, Prozesse und Perspektiven

Sonja Führing ist seit über einem Jahr bei Sweco in Berlin tätig. Als Mitglied des Nachhaltigkeits-Teams im Bereich Architektur konzentriert sich die studierte Bauingenieurin auf nachhaltiges Bauen und ökologische Bauweisen. Seit kurzem ist sie offiziell als „BNB-Koordinatorin“ zertifiziert. Im Interview berichtet Sonja über die Bedeutung nachhaltiger Bauweise, Herausforderungen in der Praxis und warum die BNB-Zertifizierung für Bauprojekte immer wichtiger wird.

Warum ist das Thema nachhaltiges Bauen so wichtig und was hat dich dazu motiviert, in dem Bereich zu arbeiten?
Gemäß einer Studie im Auftrag des Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) werden durch Herstellung und Nutzung von Wohn- und Nichtwohngebäuden 40 % aller Treibhausgas-Emissionen deutschlandweit verursacht. Dies zeigt, wie wichtig der Gebäudebereich für die Erreichung von Klimaschutz- und Ressourcenschutzzielen ist.

Schon während meines Studiums im Fach Bauingenieurwesen habe ich mich intensiv gefragt, wo ich später arbeiten möchte. Das Thema Nachhaltigkeit ist mir auch privat sehr wichtig, weswegen sich die Idee, im Bereich Nachhaltiges Bauen zu arbeiten, sehr gut angefühlt hat. Was mich dabei besonders motiviert, ist die Sinnhaftigkeit des Beitrags zum Klimaschutz, aber auch zur Nachhaltigkeit auf allen Ebenen des Gebäudebereichs.

Was ist das „BNB“?
BNB steht für „Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen“. Es wurde 2010 vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) herausgegeben und wird vom BBSR kontinuierlich weiterentwickelt.

Das BNB ist ein Instrument zur ganzheitlichen Planung und Bewertung nachhaltiger Bauvorhaben. Es ergänzt den Leitfaden Nachhaltiges Bauen, stellt ein Pendant zum Bewertungssystem der DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) dar und wird i.d.R. bei öffentlichen Bauvorhaben angewendet. Im Bundesbau und inzwischen auch in einigen Bundesländern ist die Durchführung einer BNB-Zertifizierung ab einer gewissen Bausumme verpflichtend. Mit dem BNB können aktuell Büro- und Verwaltungsgebäude (Neubau und Komplettmodernisierung), Unterrichtsgebäude, Laborgebäude und Außenanlagen bewertet werden.

Für die Bewertung von Baumaßnahmen stellt das BNB mess- und überprüfbare Kriterien im Sinne der Nachhaltigkeit zur Verfügung, die in sechs Hauptkriteriengruppen eingeteilt werden. Diese umfassen ökologische, ökonomische, soziokulturelle, technische und Prozessqualität sowie Standortmerkmale. Am Ende lässt sich das Gesamtergebnis über ein Zertifikat mit den Stufen „Bronze“, „Silber“ und „Gold“ abbilden.

Der Begriff der Nachhaltigkeit wird im Bauwesen breit gedacht und es geht um einen ganzheitlichen Ansatz

Was sind die wichtigsten Prinzipien des nachhaltigen Bauens?
Ich finde, dass beispielsweise das BNB die wichtigsten Prinzipien des nachhaltigen Bauens gut abbildet. Dazu zählen die ökologische, ökonomische, soziokulturelle sowie technische Qualität, die Prozessqualität und auch Standortfaktoren. Daraus wird ersichtlich, dass der Begriff der Nachhaltigkeit im Bauwesen breit gedacht wird und es um einen ganzheitlichen Ansatz geht. Auf einer tieferen Ebene kann man noch sagen, dass wichtige Stellschrauben im nachhaltigen Bauen die Ökobilanzierung und damit die Materialwahl und auch das Energiekonzept sind. Mithilfe einer Kostenberechnung über den ganzen Lebenszyklus eines Bauvorhabens (LCC) lässt sich abschätzen, wie sich die Kosten nachhaltig entwickeln. Dabei werden nicht nur wie im konventionellen Sinne die Investitionskosten, sondern auch die Betriebs-, Nutzungs- und Rückbaukosten betrachtet, was oft zu Gunsten nachhaltiger Alternativen ausfällt.

Du bist seit kurzem zertifizierte „BNB-Koordinatorin“. Kannst du uns erklären, was die Rolle einer BNB-Koordinatorin umfasst?
Ein/e BNB-Koordinator*in sollte grundlegend dafür Sorge tragen, dass eine angestrebte BNB-Zertifizierung mit dem festgesteckten Ziel in einem Projekt gelingt.

Wie der Titel schon sagt, ist vor allem eine Koordination und Steuerung des Zertifizierungsprozesses notwendig – von der Projektvorbereitung bis zur Einreichung der Zertifizierungsunterlagen bei der Konformitätsprüfstelle. Der/die BNB-Koordinator*in steht ab Beginn des Zertifizierungsprozesses im engen Austausch mit der Konformitätsprüfstelle. Anfangs werden im Rahmen einer Zielvereinbarung zusammen mit Auftraggeber und Nutzer*innen Zielwerte definiert. Ein wichtiges Instrument ist das Nachhaltigkeitspflichtenheft, in dem die/der BNB-Koordinator*in die Umsetzung der BNB-Anforderungen stetig dokumentiert.

Während des Zertifizierungsprozesses steht der/die BNB-Koordinator*in den Projektbeteiligten beratend zur Seite. Grundsätzlich ist eine enge Kommunikation zwischen allen Projektbeteiligten empfehlenswert. Ziel ist es, sowohl Planung als auch Ausführung hinsichtlich der Nachhaltigkeit zu optimieren. Unter Umständen müssen dafür an verschiedenen Stellen Variantenvergleiche erstellt und bewertet werden.

Eine fachspezifische Beratung kann z.B. bei der Schadstoffvermeidung in Baumaterialien notwendig sein. Üblicherweise führt der/die BNB-Koordinator*in die Ökobilanzierung, die Lebenszykluskostenberechnung, den Nachweis zur Rückbaufähigkeit, Trennbarkeit sowie Verwertbarkeit und auch die Berechnung zum Abwasseraufkommen und Trinkwasserverbrauch durch. Bestehen weitere vertiefte Fachkenntnisse in anderen Themenfeldern kann der/die BNB-Koordinator*in darüber hinaus Konzepte erstellen und Nachweise führen.

Welche Kriterien werden bei der Zertifizierung von nachhaltigen Bauprojekten nach dem BNB-System berücksichtigt?

Bei einer BNB-Zertifizierung werden insgesamt 45 Kriterien aus den sechs Hauptkriteriengruppen berücksichtigt. Mit den unterschiedlichen Ausprägungen wird eine ganzheitliche Betrachtungsweise verfolgt. Die einzelnen Kriterien sind verschieden stark gewichtet, wobei das höchste Gewicht die Ökobilanzierung (LCA) mit der Untersuchung verschiedener Umweltwirkungen (z.B. das Treibhausgaspotential) und des Primärenergiebedarfs sowie die Lebenszykluskostenberechnung (LCC) besitzen. Auch die Anpassungsfähigkeit spielt eine wichtige Rolle. Im Rahmen dieses Kriteriums soll eine möglichst hohe Flexibilität der Gebäudegeometrie, Grundrisse, Konstruktion und technischen Ausstattung geschaffen werden, sodass eine Anpassung bei sich ändernden Nutzungsbedingungen oder Umnutzungen leicht erfolgen und das Gebäude als solches noch lange nachhaltig genutzt werden kann.

Auch technische Aspekte, wie Schallschutz, Wärme- und Tauwasserschutz, die Reinigungs- und Instandhaltungsfreundlichkeit sowie der Rückbau, die Verwertung und Trennung sind wichtige Komponenten im Sinne der Nachhaltigkeitszertifizierung, welche mit einer höheren Gewichtung in die Bewertung eingehen.

Welche Leistungen bietest du an und inwiefern kannst du beim Thema nachhaltiges Bauen konkret unterstützen?
Der Fokus meiner Arbeit im Nachhaltigkeitsteam liegt insbesondere auf den Bereichen LCA, LCC und Klimarisikoanalysen. Grundsätzlich kann ich aber bei allen Themen rund um eine BNB-Zertifizierung beraten und unterstützen, z. B. wenn allgemeine Verständnisfragen aufkommen, wenn Projekte mit dem BNB zertifiziert werden sollen oder sich schon in dem Prozess befinden. Von nun an können wir bei Sweco die Durchführung einer BNB-Koordination auch direkt mit anbieten.

Gemeinsam mit dem Nachhaltigkeitsteam, können wir prinzipiell all die Leistungen anbieten, die mit einer BNB-Zertifizierung einhergehen und weiter oben schon genannt wurden.

Es ist wichtig, die Nachhaltigkeit so früh wie möglich einzubeziehen

Welche Herausforderungen begegnen dir häufig bei der Planung und Umsetzung von nachhaltigen Bauprojekten?
Es ist sehr wichtig, die Nachhaltigkeit so früh wie möglich in das Planungsgeschehen einzubeziehen. Erfolgt dies erst später im Planungsprozess, kann es herausfordernd werden, nachhaltige Aspekte zu berücksichtigen, da die Einflussmöglichkeiten geringer und der Aufwand zur nachträglichen Integration größer werden. Um dies zu umgehen, sollten nachhaltige Themen und Zielsetzungen frühestmöglich in den Prozess und in Besprechungen mit allen Projektbeteiligten verankert werden.

Eine andere Herausforderung, die ich wahrnehme, ist der Kostenaspekt, der beim konventionellen Bauen verstärkt im Fokus liegt. Es werden immer noch die Investitionskosten eingehend betrachtet. Dabei lohnt es sich, einen Blick auf die Lebenszykluskosten zu werfen – denn dann fällt auf, dass insbesondere die Ersatz- und Energiekosten über den ganzen Lebenszyklus eines Gebäudes gesehen den größten Anteil ausmachen. Vor dem Hintergrund bieten sich u.U. nachhaltige Alternativen an, die in der Herstellung eventuell teurer sind, aber auf längere Sicht zu geringeren Kosten im Lebenszyklus führen.

Welche Trends und Entwicklungen im Bereich des nachhaltigen Bauens siehst du für die Zukunft?

Grundsätzlich glaube ich, dass immer mehr Menschen aus der Baubranche die Wichtigkeit des Themas anerkennen. Auf rechtlicher Ebene werden daher zunehmend Anforderungen gestellt, beispielsweise zeichnet sich die Entwicklung ab, dass die BNB-Zertifizierung in immer mehr Bundesländern verpflichtend wird. Auch die EU-Richtlinie für Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (von 2024) bestätigt das. Gemäß dieser sollen ab 2030 nur noch emissionsfreie Neubauten errichtet werden.

Bei immer energieeffizienteren Gebäuden wird die Auseinandersetzung mit dem Materialeinsatz noch wichtiger. Zukünftige Konzepte, die eine größere Rolle spielen werden, könnten beispielsweise folgende sein: Zirkuläres Bauen, Wiederverwendung von Materialien und Baustoffen, Kreislauffähigkeit, Urban Mining. Unternehmen, die sich damit jetzt schon verstärkt auseinandersetzen sind z.B. Madaster und Concular. Mit Madaster arbeiten wir eng zusammen: Wir sind Innovationspartner und in stetem Austausch mit dem Team. Über die Madaster-Plattform lässt sich zum Beispiel eine weitestgehend automatisierte Ökobilanzierung in Verbindung mit BIM durchführen oder ein Gebäuderessourcenpass erstellen.

Kannst du uns erzählen, was in Zukunft geplant ist? Gibt es schon Projekte, bei denen du als BNB-Koordinatorin unterstützen kannst?
Gemäß aktueller Planung startet im Herbst dieses Jahres eines unserer Projekte, bei dem es sich um eine Nachhaltigkeitskoordination handelt. Dabei übernehmen wir all die Aufgaben, die mit der Rolle einer BNB-Koordination einhergehen. Besonderes Augenmerk soll auf der Materialwahl und Prüfung der Materialien hinsichtlich ihrer Umweltwirkungen und Schadstofffreiheit liegen. Wir freuen uns auf diese spannende Aufgabe und ich freue mich, meine neu erlernten Kenntnisse im Zusammenhang mit dem BNB direkt anwenden zu können.

Vielen Dank für die interessanten Einblicke ins Thema nachhaltiges Bauen!

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