08/09/2025

Lesezeit 6min

Ina-Sophie Kramer

Marketing & Kommunikation

Was schützt Deutschland vor Hochwasser?

Heute sprechen wir mit Dipl.-Ing. Stephan Ellerhorst, Bereichsleiter Verkehr & Wasser bei Sweco in Düsseldorf und erfahrener Experte für Wasserinfrastruktur und Hochwasserschutz. Mit langjähriger Praxis in Planung, Umsetzung und Beratung kritischer Infrastrukturen kennt er die Herausforderungen und Chancen, die Deutschland im Kampf gegen Hochwasser bewältigen muss.

Im Gespräch geht es um den aktuellen Stand des Hochwasserschutzes, technologische Innovationen, rechtliche Rahmenbedingungen sowie die zunehmende Bedeutung von Resilienz gegenüber hybriden und militärischen Bedrohungen.

Hallo Stephan, welche Arten von kritischer Infrastruktur sind deiner Meinung nach in Deutschland besonders anfällig für Hochwasser?

In dem Zusammenhang sprechen wir von kritischen Infrastrukturbereichen. Die Top 3 Bereiche, die besonders anfällig für Hochwasser sind, sind sicher die Gesundheits-, die Energie- und die Trinkwasserversorgung. Nach der Flutkatastrophe in West- und Mitteleuropa (Ahrflut) von 2021, die übrigens auch die Beneluxländer betroffen hat, sind diese Punkte 2023 auch in eine EU-Richtlinie über die Resilienz kritischer Einrichtungen (Critical Entities Resilience / CER-Richtlinie) eingeflossen.

Maßnahmen für den Hochwasserschutz in Deutschland: Fortschritte und Herausforderungen

Welche Maßnahmen wurden in Deutschland in den letzten Jahrzehnten ergriffen, um den Hochwasserschutz zu verbessern, und welche Herausforderungen stehen uns in Zukunft bevor?

Wir haben in den vergangenen Dekaden viel für den Binnen- und Küstenhochwasserschutz getan und in Deutschland einen sehr guten Grundschutz erreicht. Grundschutz deshalb, weil wir uns in drei Bereichen für die Zukunft aufstellen müssen: Deichsanierungen sind das erste Thema. Da ergeht es diesen Schutzeinrichtungen nicht besser als der Infrastruktur insgesamt und es gibt regelmäßige Erhaltungsaufwände. Allerdings stehen die Deiche durch die dezentralen Verantwortungen der Deichverbände insgesamt verhältnismäßig gut da. Das zweite wichtige Thema ist die Anpassung an höhere Wasserstände und da wird es schon aufwändiger. Der dritte und wichtigste Punkt ist allerdings, dass wir Hochwasser nicht mehr allein aus Flüssen erwarten, sondern auch aus Starkregenereignissen. Auch wenn nicht alle Regionen hydromorphologisch gleich betroffen sind, gibt es drei wesentliche Auswirkungen:

  1. Das Hochwasser aus Starkregen kann überall stattfinden.
  2. Die Bevölkerung muss in Regionen ohne Flüsse, wo das Wissen um Hochwasser nicht über Generationen weitergegeben wurde, erst lernen, damit umzugehen.
  3. Die Ereignisse werden immer wieder an unterschiedlichen Orten auftreten.

Hier gilt es, die Schutzmaßnahmen der Bevölkerung in den dafür zuständigen Einrichtungen und Verwaltungsebenen zu optimieren.

Innovative Ansätze zum Hochwasserschutz: von KI-basierten Frühwarnsystemen bis zum Schwammstadtprinzip

Wie bewertest Du Maßnahmen wie Deichrückverlegung, Entsiegelung oder das „Schwammstadtprinzip“ zur Erhöhung natürlicher Retentionsräume? Inwiefern lassen sich solche Ansätze sinnvoll in den Schutz kritischer Infrastruktur integrieren?
Große Retentionsräume, also Flächen, die Wasser vorübergehend zurückhalten und aufnehmen können, um Hochwasser und Starkregen abzuschwächen, sind in jedem Fall sinnvoll im Bereich der Flusshochwässer. Am Rhein wurden beispielsweise auch schon gute Projekte umgesetzt. Für die beschriebene Problematik der Hochwässer aus Starkregen müssen wir in die Fläche. Hier ist der naturnahe Wasserhaushalt unser Leitbild. Das Schwammstadtprinzip und der dezentrale Ansatz zur Entsiegelung und Schaffung von zahlreichen Rückhalteräumen, wie den multifunktionalen Flächen, sind die vielversprechenden Lösungsansätze.

In Projekten wie „InflowGo“ oder „FlutRadar“ kommen KI-basierte Frühwarnsysteme zum Einsatz. Welche Potenziale und Grenzen siehst Du für solche digitalen Tools beim Schutz kritischer Infrastruktur?
Bei dem Einsatz von Frühwarnsystemen müssen wir zwischen Gewässern 1. Ordnung wie dem Rhein, die gut mit Pegeln und Vorwarnsystemen überwacht werden, und dem weiteren Gewässernetz unterscheiden. Die Flusshochwässer sind hinsichtlich ihrer Entwicklung und Auswirkung lange bekannt und in der Vorhersage sehr gut gemanagt. Die Hochwässer in der Fläche und kleineren Gewässern gewinnen sehr stark in der Vorhersagesicherheit der KI-Systeme. Auch wenn diese Gewässer durch gute Simulationen grundsätzlich gut abbildbar sind, brauchen die Berechnungen viele Stunden. Sie sind auch eher als Planungsinstrumente zu verstehen. Diese Informationen jetzt über eine „trainierte“ KI zu geben und ein Vorhersagemodell zu erstellen ist sehr sinnvoll. Hier hat es nach der Ahrflut einige Entwicklungen gegeben. Wie in vielen anderen Bereichen haben auch Hochwasserschadensereignisse immer wieder dazu geführt, dass entsprechende Maßnahmen ergriffen worden sind.

Das neue KRITIS-Dachgesetz soll Mindeststandards für den Schutz kritischer Infrastrukturen definieren. Welche Auswirkungen hat das konkret für den Bereich der Wasserinfrastruktur und den Hochwasserschutz?
Das KRITIS-Dachgesetz ist ein geplanter Gesetzesentwurf, der die physische Sicherheit und die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) kritischer Infrastrukturen in Deutschland stärken soll. Es setzt die oben angesprochene EU-CER-Richtlinie in Deutschland um und definiert Mindeststandards für den Schutz kritischer Anlagen, die die Bevölkerung und die Wirtschaft versorgen. Ab 2025 sollen Betreiber kritischer Infrastrukturen in verschiedenen Sektoren (wie Energie, Gesundheit, Wasser, Informationstechnik, Ernährung oder Verkehr) präventive Maßnahmen ergreifen, Störungen schnell melden und die Wiederherstellung beschleunigen. Für den Hochwasserschutz bedeutet dies aus heutiger Sicht vor allem eine bessere Prävention im Hinblick auf die Organisation der Schadensbegrenzung und -beseitigung. Für die Trinkwasserversorgung ist die Richtlinie noch wichtiger, weil sie nicht nur eine präventive Wirkung hat, sondern auch potenzielle Auswirkungen durch andere Ereignisse wie Terror- oder Kriegseinwirkung berücksichtigt.

Entscheidend wird sein, wie wir technische, naturnahe, organisatorische und digitale Ansätze intelligent verknüpfen, um langfristig resilienten Hochwasserschutz zu gewährleisten

Im Kontext hybrider Bedrohungen – etwa Sabotage oder Cyberangriffe – wie widerstandsfähig ist die Hochwasserschutzinfrastruktur in Deutschland aktuell? Werden kritische Anlagen auch gegen mögliche großangelegte Störungen oder gezielte Angriffe geschützt?
Die Hochwasserinfrastruktur ist nicht im Hauptfokus dieser noch neuen Bedrohungslage. Die Trinkwasser- und Energieversorgung stellen in dem Zusammenhang sicher kritischere Ziele dar. Trotzdem müssen wir auch diesen Bereich des Landesschutzes berücksichtigen. Mir ist, und das ist sicher auch der bewussten geringen Öffentlichkeit bei solchen Präventionsmaßnahmen geschuldet, keine umfangreiche strategische (singuläre) Planung bezüglich der Hochwasserinfrastruktur bekannt.

Angesichts zunehmender Extremwetterereignisse durch den Klimawandel: Welche Schutzstrategie erscheint Dir langfristig am wirksamsten – eher technisch, naturnah, organisatorisch oder digital vernetzt?
Alle Schutzstrategien haben ihre Berechtigung und Notwendigkeit. Mir scheint es wichtig, das Zusammenspiel der Maßnahmen und die Verantwortlichkeiten gut zu regeln. Die notwendige Technik ist bekannt, entscheidend wird jedoch sein, wie wir technische, naturnahe, organisatorische und digitale Ansätze intelligent verknüpfen, um langfristig resilienten Hochwasserschutz zu gewährleisten.

Danke für das Gespräch, Stephan. Deine Expertise im Bereich Hochwasserschutz liefert wertvolle Einblicke in die aktuellen Herausforderungen und Lösungsansätze. Es wird deutlich, wie entscheidend technologische Innovationen und organisatorische Maßnahmen für den Schutz unserer Infrastruktur sind.

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