Energieversorgung zukunftsfähig aufstellen
Strategien für langfristige Energiesicherheit und nachhaltige Wärmeversorgung
Die sichere Energieversorgung ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Klimawandel, geopolitische Unsicherheiten und steigender Energiebedarf stellen Unternehmen und Gesellschaft vor komplexe Aufgaben. Gleichzeitig eröffnen neue Technologien wie Speicherlösungen, Wasserstoff und intelligente Netze große Chancen.
Wir haben mit unseren Energieexperten Philipp Leschinsky, Teamleiter Elektro- & Leittechnik, und Jonas Hackmann, Teamleiter Dezentrale Energietechnik, gesprochen. Im Interview erklären sie, welche Faktoren für eine zukunftsfähige Wärme- und Energieversorgung entscheidend sind und wie wir heute die Weichen für eine sichere und nachhaltige Energiezukunft stellen können.

Philipp Leschinsky, Experte für Elektro- & Leittechnik bei Sweco in Köln

Jonas Hackmann, Experte für Dezentrale Energietechnik bei Sweco in Köln
Welche zentralen Herausforderungen seht ihr aktuell für eine sichere Energieversorgung in Deutschland und Europa?
Philipp: Aktuell sehen wir die zentralen Herausforderungen für eine sichere Energieversorgung in Deutschland und Europa in einem Zusammenspiel aus technischer, regulatorischer und infrastruktureller Dimension:
- technisch sind es die steigende Volatilität durch hohen Anteil von Wind und PV sowie der Mangel an großskaligen saisonalen Speichern
- infrastrukturell fehlen beschleunigter Netzausbau und die passenden Übertragungs-Kapazitäten, inklusive grenzüberschreitender Hochspannungs-Gleichstrom-Korridore (HVDC)
- regulativ sind Genehmigungs- und Marktmechanismen (z. B. Kapazitäts- oder Flexibilitätsmärkte) und die Ausgestaltung von Förderinstrumenten oft langsamer als die Investitionsbedarfe
Diese Engpässe machen deutlich, dass die Energieversorgung kein reines Technikproblem ist: Ausbauoptionen existieren, aber ohne integrierte Planung (Netz + Erzeugung + Speicher + Marktdesign) drohen Rebound- oder Kostenineffizienzen. Aktuelle politische Maßnahmen adressieren Teile dieses Problems (z. B. neue Mechanismen zur Absicherung von Kapazität und Anpassungen der Förderlogik), aber die Umsetzungsgeschwindigkeit bleibt entscheidend.
Welche Rolle spielen erneuerbare Energien wie Solar- und Windkraft für eine zukunftsfähige Energieversorgung?
Jonas: Solar- und Windkraft sind heute und künftig das Rückgrat einer klimafitten Energieversorgung: kostengünstig, skalierbar und flächig verfügbar, können sie in vielen Regionen bereits die Basisversorgung stellen. Der Ausbau von Wind und Photovoltaik (PV) reduziert Importabhängigkeiten und Betriebskosten, verschiebt aber die Systemverantwortung auf Flexibilität (Speicher, Lastmanagement, Sektorkopplung). Deshalb ist entscheidend, dass Ausbauziele mit konkreten Netzanbindungs- und Speicherplänen sowie Flächen- und Umweltverträglichkeitsstrategien verknüpft werden. Nur so liefern Wind und Sonne nicht nur viel Energie, sondern auch verlässliche Versorgung. Aktuelle Daten zeigen, dass Wind & Solar in Europa bereits substanzielle Anteile liefern und in einigen Zeiträumen fossile Erzeugung übertreffen, was die technische Machbarkeit der Dekarbonisierung unterstreicht.
Wie wichtig ist die Netzstabilität? Welche technischen Lösungen tragen dazu bei, Blackouts zu vermeiden?
Philipp: Netzstabilität ist nicht „nice to have“, sie ist die Voraussetzung dafür, dass erzeugte Energie beim Verbraucher ankommt ‒ Spannung, Frequenz und Kurzschlussleistung müssen jederzeit gehalten werden. Technisch leisten heute vor allem grid-forming Wechselrichter, schnell regelnde Batteriespeicher (BESS), synchrone Ersatzleistungen durch virtuelle Inertia-Services (in Deutschland sind die großen Windparks dafür prädestiniert) sowie stärkere Fernverbindungen (HVDC) die Hauptarbeit, ergänzt durch marktliche Steuerung von Flexibilitäten. Strategisch heißt das: Wir müssen die Fähigkeiten des Netzes (physisch) stärken und gleichzeitig Markt- und Vergütungsinstrumente so gestalten, dass Betreiber von Speichern, Erzeugern und Lasten für die Bereitstellung dieser Dienste belohnt werden. Die Forschung und Standardisierung rund um grid-forming-Inverter sowie die Integration von BESS in Systemdienstleistungsmärkte sind Schlüsselaktivitäten dafür.
Welche Technologien haben das größte Potenzial, unsere Energieversorgung nachhaltig und sicher zu gestalten?
Philipp: Verschiedene Technologien ergänzen sich entlang der Zeithorizonte der Flexibilität: Kurz- bis mittelfristig haben Batteriespeicher, Power-to-Heat-Lösungen (gekoppelt mit thermischen Speichern) und intelligente Laststeuerung den größten Hebel, weil sie schnell reagieren und dezentral skaliert werden können. Mittelfristig sind großdimensionierte Wärmespeicher und die Kopplung von Industrieprozessen relevant. Langfristig und für saisonale Ausgleichsbedarfe wird es spannend. Verlässliche Aussagen lassen sich hier aufgrund der komplexen politischen Lage nur schwer treffen.
Ein Baustein ist mitunter grüner Wasserstoff als Langzeitspeicherung ‒ er ermöglicht saisonale Energiespeicherung, industrielle Nutzung und Sektorkopplung. Zu bedenken ist, dass wir nicht zu früh und zu stark auf Wasserstoff setzen, da wir sonst wieder in ähnliche Abhängigkeiten geraten wie bei Erdgas. Nur ein abgestimmter Technologie-Mix sorgt für robuste Versorgung und effizienten Kapitaleinsatz.
Besonders wichtig ist ein Umdenken in Politik sowie Bevölkerung und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen und Innovationen voranzutreiben. Deutschland kann hierbei wieder Vorreiter in der Welt werden, wenn wir systemisch denken und die Innovationskraft in Deutschland stärken und fördern.
Wie trägt die Digitalisierung (z. B. KI) zur Energiesicherheit der Zukunft bei?
Philipp: Die Digitalisierung und KI erhöhen die Systemeffizienz und damit die Energiesicherheit durch bessere Prognosen, Optimierung und Automatisierung: genauere Erzeugungs- und Lastprognosen für Wind/PV reduzieren Unsicherheiten, vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance) minimiert Ausfallzeiten, und KI-gestützte Orchestrierung kann dezentrale Flexibilitäten (Batterien, Wärmepumpen, Elektrolyseure) zu virtuellen Kraftwerken bündeln.
Außerdem entkoppelt die Digitalisierung den reinen Ausbau der Versorgungssicherheit: bessere Daten und Modelle senken Reserveanforderungen und Investitionskosten. Gleichzeitig erhöhen wir die Angriffsfläche für Cyber-Risiken; deshalb müssen digitale Lösungen von vornherein mit starken Cyber-Security- und Governance-Regeln geplant werden.
Welche Technologien sind besonders wichtig, um eine sichere Wärmeversorgung aufzubauen?
Jonas: Für eine sichere Wärmeversorgung sind Wärmepumpen die Schlüsseltechnologie – ohne sie geht es nicht (von dezentralen Haushaltsgeräten bis zu Großwärmepumpen für Netze).
Nah- und Fernwärmenetze werden insbesondere in dicht besiedelten Gebieten immer wichtiger. Hier sind vor allem die in Deutschland noch nicht so bekannten Niedertemperatur-Netze von Bedeutung. Einige Gemeinden haben hier schon vorgelegt: In der Verbandsgemeinde Altenahr wurden Niedertemperatur-Netze errichtet und liefern zuverlässige CO2-freie Wärme. Für die Versorgung der Netze sind ‒ neben den Großwärmepumpen insbesondere an Kläranlagen ‒ auch Geothermie und die Nutzung industrieller Abwärme zentral.
Weil Wärme den größten Anteil am Endenergieverbrauch hat, verlangt eine klimafeste Versorgung systemische Lösungen: Gebäudesanierung reduziert Bedarf, Netzinfrastruktur ermöglicht Sektorkopplung (Power-to-Heat) und Geothermie/Abwärme liefern grundlastfähige erneuerbare Wärme. Politische Initiativen und Entwürfe zielen aktuell darauf, Ausbauhemmnisse bei Geothermie und großem Wärmenetzbau zu adressieren, weil diese Technologien hohe Hebelwirkung für die CO₂-Reduktion und Versorgungssicherheit besitzen.
Wie können Unternehmen und Kommunen gemeinsam an der Umsetzung einer nachhaltigen Wärmeplanung arbeiten und welche Erfolgsfaktoren sind dabei entscheidend?
Jonas: Unternehmen und Kommunen können am erfolgreichsten zusammenarbeiten, wenn sie eine gemeinsame, datengetriebene Wärmevision entwickeln, klare Rollen definieren und Pilotprojekte als Lernpfad nutzen. Kommunen sollten die Rahmenbedingungen bestmöglich gestalten (Flächen ausweisen, lokale Regulierung planen, Akzeptanzmanagement betreiben), Unternehmen bringen Planung, Finanzierung und Betriebs-Know-how ein. Hierbei ist der iterative Ansatz („pilot – learn – scale“) zielführend: mit kleinen, skalierbaren Projekten technische, wirtschaftliche und soziale Risiken reduzieren und dann systematisch hochskalieren.
Welche zukunftsfähigen Projekte habt ihr bei Sweco in diesen Bereichen schon umgesetzt?
Jonas: Windparks & Freiflächen-PV-Anlagen gehören bei uns schon lange zum Portfolio – aktuell z. B. der Windpark in Heidmoor.
2023 konnten wir unser erstes Großwärmepumpenprojekt in Freiburg akquirieren, das nun kurz vor dem Abschluss steht. Heute betreuen wir drei weitere Großwärmepumpen Projekte an Kläranlagen in Halle, Nürnberg und Bochum. In der Nähe von Karlsruhe am Oberrheingraben planen wir ein Tiefengeothermie Heizwerk.
Philipp: Rund um das Thema Batteriespeicher versuchen wir gerade, gemeinsam mit unseren Kolleg*innen aus Belgien und Schweden unsere führende Rolle im Markt zu etablieren. Unsere Stärke liegt darin, disziplinübergreifend zu liefern und Kolleg*innen, bei Bedarf sogar in anderen Ländern, schnell einzubinden, um skalierbare Lösungen zu entwickeln.
2040 ist eine sichere Energie- und Wärmeversorgung integrierter, dezentraler und flexibler
Wenn ihr in die Zukunft blickt: Wie sieht eine sichere Energie- und Wärmeversorgung im Jahr 2040 aus?
Jonas: 2040 ist eine sichere Energie- und Wärmeversorgung integrierter, dezentraler und flexibler. Elektrizität stammt großteils aus Wind und Sonne, gekoppelt über leistungsfähige, europaweit vernetzte Übertragungsachsen; lokale Batteriespeicher, Quartierspeicher und virtuelle Kraftwerke sichern Kurzfrist-Stabilität, während große Speicher saisonale Schwankungen ausgleichen. Wärmeversorgungen sind größtenteils dekarbonisiert durch eine Mischung aus Fernwärmenetzen (niedertemperaturfähig, mit Wärmepumpen und Geothermie), Quartierslösungen und stark verringertem Bedarf durch Effizienzmaßnahmen. KI-gestützte Betriebssysteme orchestrieren Erzeugung, Nachfrage und Netzdienstleistungen, während regulatorische Rahmen und Förderinstrumente Investitionssicherheit schaffen. Entscheidend ist, dass dieses Bild nicht nur technische Komponenten, sondern auch reife Governance- und Marktmechanismen sowie gesellschaftliche Akzeptanz voraussetzt.
Wie kann die Wärme- und Energiewende langfristig nachhaltig und erfolgreich gestaltet werden und welche Rolle kann Sweco dabei übernehmen?
Jonas: Sweco hat eine Schlüsselposition im Markt, um getreu dem Motto „Transforming Society together“ die Energiewende und die damit verbunden Herausforderungen maßgeblich mitzugestalten. Dabei bringen wir die Themen Energie, Gebäude und Infrastruktur nicht nur einzeln, sondern ganzheitlich zusammen und können damit alles aus einer Hand anbieten. Das ist ein entscheidender Vorteil, denn die Energiewende und die Transformation unserer Städte gelingen nur, wenn Systeme integriert gedacht und geplant werden. Unsere Stärke ist, dass wir diese Perspektive in interdisziplinären Teams leben – und dass wir in allen Bereichen eine echte Begeisterung für Nachhaltigkeit mitbringen.
Philipp: „One Sweco“ bedeutet für uns, noch stärker zusammenzuwachsen, unser internationales Wissen zu verknüpfen und die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten, kontinuierlich weiterzuentwickeln. Auf diese Weise schaffen wir nicht nur technische Lösungen, sondern gestalten gemeinsam mit unseren Kunden die Städte der Zukunft – resilient, klimafreundlich und lebenswert.
Vielen Dank für diese spannenden Einblicke!




